18.01.2018, D. Suarez: „DAEMON“ (4,5/5)
Zeitloses Meisterwerk
DAEMON: Die Welt ist nur ein Spiel
Autor: Daniel Suarez
Taschenbuch, 639 Seiten
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 02. Mai 2011
ISBN 3499256436
Vorgeschichte: Auf den amerikanischen Autor Daniel Suarez bin ich in einer Buchhandlung aufmerksam geworden, wo der damals aktuelle Roman „Control“ sehr liebevoll beworben wurde. Mit „Daemon“ habe ich mich nunmehr mit 7 Jahren Verspätung (bezogen auf die deutsche Übersetzung; das englische Original stammt von 2006) an Suarez‘ Erstling herangewagt.
Inhalt: Ein genialer Spieleentwickler stirbt … und ein Daemon (=ein Stück Software, das auf bestimmte Ereignisse lauscht und in Abhängigkeit vom Eintreten der Ereignisse in Aktion tritt), wird im Moment seines Todes aktiv. Schon bald wird deutlich, dass der verblichene Schöpfer des Daemons zahlreiche Eventualitäten vorhergesehen hat … und sich nicht damit zufriedengibt, nur ein wenig Verwirrung unter den Hinterbliebenen zu stiften.
Erzähltechnik: Die Erzählperspektive ist aus der dritten Person geschrieben, bleibt jederzeit sachlich und souverän. Die Protagonisten (ein bunter Reigen von Polizei- oder FBI-Beamten, dazu Journalisten, Hacker und sonstige Nerds) wechseln fortlaufend; die Kapitellängen sind sehr unterschiedlich gehalten. Nur die wenigsten Protagonisten sind sympathisch, die Identifikation mit ihnen fällt entsprechend schwer. Das Vokabular ist anspruchsvoll, aber niemals abgehoben. Aus meiner Sicht wird die Herausforderung, den in einem sehr technischen Umfeld angesiedelten Roman verständlich zu halten, sehr gut gelöst.
Suchtfaktor: Die Geschichte beginnt beinahe klassisch mit einem Mord … und dem Szenario angemessen folgen im Lauf der Handlung zahlreiche weitere Leichen. Auch wenn keiner der Protagonisten dem Leser so richtig ans Herz wächst, kann man das Buch kaum zur Seite legen. Der in hohem Tempo geschriebene Roman zieht seinen Reiz aus dem beklemmenden Szenario, dass ein Toter den Lebenden stets einen Schritt voraus ist und unzählige Weichen vorab so gestellt hat, dass die scheinbare Handlungsfreiheit der Protagonisten zielsicher im Unausweichlichen endet. Dabei ist die Folge von Ursache und Wirkung, die Suarez konstruiert, niemals unrealistisch, im Gegenteil: die Funktionsweise des Daemons bleibt jederzeit nachvollziehbar und (gegeben beliebig viel Zeit und beliebig viel Geld :)) auf die reale Welt übertragbar.
Was bleibt: ein mulmiges Gefühl. Wenn der Mensch, der gemäß seiner Natur technisch komplexe Systeme immer weniger durchschauen kann, naiv und leichtgläubig jeden beliebigen Hebel in die Hände von Automatismen und Algorithmen legt, darf er sich nicht wundern, wenn jemand diese Automatismen und Algorithmen kapert und für eigene Zwecke missbraucht. „Daemon“ ist eine fantasievolle Dystopie, die nicht weit von der heutigen Realität entfernt ist, regt zum Nachdenken an, wühlt auf.
Fazit: Das Buch endet mit einer Überraschung und einem Cliffhanger, der den Leser atemlos und verstört zurücklässt (wohl dem, der „Darknet“, die sich nahtlos an „Daemon“ anschließende Fortsetzung, direkt mitgekauft hat :)). Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen; den halben Punkt Abzug gibt es für den Mangel einer Identifikationsfigur unter den Protagonisten, die mir letztendlich allesamt egal sind … was wiederum daran liegt, dass der eigentliche Protagonist der Geschichte bereits gestorben ist und man dessen Geschichte nur noch andeutungsweise in Retrospektiven erlebt. Nichtsdestotrotz: „Daemon“ ist nicht nur spannend, sondern auch stimmig konstruiert; ein Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch hinterfragt. Aus meiner Sicht ein Meisterwerk, das völlig zurecht vom selbstveröffentlichten Geheimtipp zu einem Bestseller wurde.
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